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Maßnahmen zur Mitgliedergewinnung
Ein Positionspapier der Deutschen Schachjugend
November 2009
I. Einleitung
Bisher ist die Mitgliederzahl im organisierten deutschen Schach eine zufällige Größe. Ihre Entwicklung scheint außerhalb des Einflussbereichs der Verbände zu liegen - wie zuletzt die enttäuschten Erwartungen über die Anziehungskraft der Schacholympiade leider gezeigt haben.

Nun gibt es kein Patentrezept, wie man Bestandsmitglieder halten und neue hinzugewinnen kann. Umso wichtiger erscheint es daher, dass der Verband sich systematisch mit diesem Thema auseinandersetzt. Wir müssen Ideen entwickeln, wie wir die Mitgliederzahl zu einer veränderbaren Größe machen können. Das erfordert einen langen Atem: Denn einzelne (noch so gelungene) Maßnahmen sind hierfür nicht ausreichend, sondern eine entsprechende Strategie muss es schaffen, verschiedene Aktivitäten auf das Ziel der Mitgliedergewinnung zu bündeln und die einzelnen Aktivitäten ineinandergreifen zu lassen. Der Erfolg des Anliegens setzt also zunächst einen Wandel im Denken voraus: Eine bedrängte Stellung auf dem Schachbrett kann auch nicht durch den wilden Aktionismus einzelner Figuren verbessert werden, sondern nur durch das planvolle Zusammenwirken aller Figuren.

Unser Diskussionspapier kann keine fertigen Lösungen anbieten. Wir wollen Fragen stellen und erste Denkanstöße geben, die bei der Entwicklung einer Strategie hilfreich sein könnten.
II. Rahmenbedingungen
Das strategische Vorgehen muss einerseits die internen Voraussetzungen berücksichtigen, andererseits aber auch der gesellschaftlichen Situation Rechnung tragen, auf die sie trifft. Langfristig erfolgreich kann es jedoch nur sein, wenn auch zukünftige Entwicklungen antizipiert werden. Beispielhaft können die folgenden Aspekte genannt werden:
a. Demographischer Wandel
  • Die „doppelte Vergreisung“ Deutschlands ist in vollem Gange: Die Deutschen werden immer älter, zugleich werden immer weniger Kinder geboren; das Durchschnittsalter steigt rapide. Dieser Prozess beschleunigt sich selbst.
  • Zugleich verändern sich die Lebenskonzeptionen: Die Lebensphase nach dem Ausscheiden aus dem Beruf wird als aktiv gestaltbar wahrgenommen.
  • Selbst die optimistischsten Bevölkerungsprognosen sagen ein deutliches Schrumpfen der Bevölkerung voraus.
  • Dieser Prozess verläuft ungleichmäßig: Bevölkerung, Wirtschaftskraft, Wachstumsraten werden in den Ballungsgebieten überproportional groß sein, während besonders der ländliche Raum „auszusterben“ droht, sozialstrukturell zumindest „abgehängt“ wird.
  • Der Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund und der Ausländeranteil in der Bevölkerung steigen.
Hieraus ergeben sich verschiedene Fragen, z.B.:
  • Wie können die neuen und alten Zielgruppen (z.B. die „aktiven Senioren“, die Menschen mit Migrationshintergrund) zeitgemäß für das organisierte Schach interessiert werden?
  • Welche bisher unterrepräsentierten Zielgruppen können für das organisierte Schach durch gezielte Aktivitäten gewonnen werden (z.B. Mädchen und Frauen, Menschen aus bildungsfernen Bevölkerungsgruppen, Menschen mit Migrationshintergrund…)?
  • Wie kann ein attraktiver Spielbetrieb unter den neuen Herausforderungen aussehen - wenn bspw. das Vereinssterben im ländlichen Raum immer längere Fahrtwege zu Ligenspielen erfordert und die Turnierdichte im ländlichen Raum ebenfalls zurückgeht?
b. Veränderte Werthaltungen
  • Abnehmende Bindungsbereitschaft: Traditionelle Bindungen werden unwichtiger, ein Kosten-Nutzen-Denken tritt zunehmend in den Vordergrund. Vereinsmitgliedschaften aus traditioneller Verbundenheit werden seltener, der Wechsel zwischen Vereinen und sogar Sportarten wird vollzogen, sobald er „lohnend“ erscheint. Der Verein wird zunehmend als Dienstleister verstanden.
  • Wunsch nach Selbstentfaltung: Verpflichtungsideen verlieren für die Deutschen an Bedeutung. Sie engagieren sich dort, wo sie sich selbst entfalten und verwirklichen können - aber nur ohne langfristige Verpflichtung. Die Bereitschaft zum Engagement im „klassischen Ehrenamt“ nimmt dementsprechend ab. Auf der anderen Seite sind die Potentiale für ein flexibles, projektgebundes Engagement gewachsen.
Beispielhafte Fragen:
  • Wie muss ein Verein (auch der Verband!) organisiert sein, dass er weitgehend auf das klassische Ehren-„Amt“ verzichten kann?
  • Wie können Verbände und Vereine die wachsende Bereitschaft zu flexiblem und projektbezogenem Engagement für sich nutzen? Anders formuliert: Wie können zeitgemäße Formen ehrenamtlichen Einsatzes im deutschen Schach aussehen?
  • Durch welche attraktiven Dienstleistungen kann der Verein Mitglieder an sich binden?
  • Welche neuen Formen der Mitgliedschaft werden dem Wunsch nach Optionsvielfalt und Flexibilität am ehesten gerecht?
c. Veränderungen im Bildungsbereich
  • Bundesweit nimmt der Anteil an Ganztagsschulen zu, hinzu kommt die bundesweite Einführung des Abiturs nach nur 12 Schuljahren. Es kommt zu einer Terminverdichtung bei Kindern und Jugendlichen, worunter die Sporttermine leiden. Schon jetzt ist zu erkennen, dass weniger Zeit für den Sport aufgewendet wird.
  • „Frühkindliche Bildung“ im Kindergarten- und Vorschulalter wird zunehmend als ein Schlüsselbereich der Bildungspolitik wahrgenommen.
Folgende Fragen ergeben sich:
  • „Frühkindliche Bildung“ im Kindergarten- und Vorschulalter wird zunehmend als ein Schlüsselbereich der Bildungspolitik wahrgenommen.
  • Wie kann das Themenfeld Schach im Kindergarten als Ergänzung zum Schulschach ausgebaut werden?
d. Schachsportspezifische Aspekte
Das organisierte Schach ist weiterhin mit spezifischen Problemen konfrontiert, die Frage der Mitgliederbindung und -gewinnung betreffen, z.B.:
  • Schach kann zu jeder Zeit überall gespielt werden - was zudem durch das Internet noch mehr gilt als je zuvor. Wozu benötige ich dann einen Verein?
  • Schachvereine haben eine vergleichsweise geringe Größe. Die notwendige Vereinsarbeit lastet deshalb zumeist auf sehr wenigen Schultern. Das Ehrenamt ist im Schachverein noch stärker ausgelastet / gefordert als in anderen Sportarten.
Fragen:
  • Wie können die Vereine in ihrer Arbeit unterstützt werden?
  • Wie kann das Ehrenamt - die Basis der Engagierten - gestärkt werden?
III. Themenfelder und Konsequenzen
Eine Strategie „Mitgliederbindung und -gewinnung“ muss aus diesen Rahmenbedingungen die zentralen Aufgaben benennen, denen sich die Verbände in Zukunft stellen müssen. Aus den bisherigen Überlegungen kristallisieren sich für uns vier strategische Aufgaben heraus:
  • die gezielte Öffnung für neue und bisher unterrepräsentierte Zielgruppen, z.B. Mädchen und Frauen, „aktive Senioren“, Menschen mit Migrationshintergrund, Kinder im Vorschulalter;
  • die Unterstützung der „täglichen“ Vereinsarbeit, z.B. in der Öffentlichkeitsarbeit und der Mitgliederwerbung sowie durch gezielte Beratung;
  • die Steigerung des Erlebniswertes im organisierten Schachsport, z.B. durch attraktive Meisterschaften und besondere Turnierangebote;
  • die Stärkung des Ehrenamts, vor allem durch Ausbildung und Vernetzung von Engagierten.
Diesen strategischen Aufgaben können und müssen sich die Verbände auf vielfältigen Themenfeldern stellen. Wichtig ist, dass die einzelnen Maßnahmen durch ein strategisches Vorgehen transparent und aufeinander abgestimmt werden können. Im Folgenden versuchen wir, einige konkrete Themenfelder aufzuzeigen, die die Strategie unserer Ansicht nach berücksichtigen sollte.
A. Mädchen- und Frauenschach stärken
Kurzfristige Erfolge sind zwar in diesem Themenfeld nicht zu erwarten, aber bei einem Anteil der weiblichen Mitglieder von ca. 10 Prozent im Schachbund liegt ein erhebliches Potential für Mitgliederzuwächse vor. Wie kann eine erfolgversprechende Öffnung zu dieser unterrepräsentierten Mitgliedergruppe erfolgen? Ansatzpunkte sind aus unserer Sicht z.B.:
  • die Unterstützung der Vereinsarbeit durch Vernetzung von erfolgreichen Vereinen (und solchen, die ihre Frauenschachaktivitäten ausbauen wollen), z.B. durch Fortbildungsseminare zum Thema;
  • die Durchführung spezifischer Fortbildungen, die neben Erfahrungsaustausch und Best-Practice-Präsentation auch auf Wissensvermittlung zielen (z.B. entwicklungs­psychologische Voraussetzungen für das Training mit Mädchen, pädagogische Themen für die Mädchenarbeit wie Gruppendynamik, Rollenverständnis, Motivation, aber auch Themen wie der mädchenfreundliche Verein), stärkt zugleich das Ehrenamt und vermindert die Unsicherheit im Umgang mit dem Thema Mädchenschach;
  • die Bereitstellung von Werbe- und Infomaterialien, die speziell Frauen und Mädchen ansprechen;
  • die Überarbeitung und Neuentwicklung von geschlechtsspezifischen Angeboten im Spielbetrieb.
Bisherige Erfahrungen der DSJ:
  • Die DSJ hat eigene Werbematerialien zum Thema entwickelt, z.B. eine Mädchenschachbroschüre mit Berichten von erfolgreichen Vereinen und Ideen zum Mädchenschach, die zu den am häufigsten nachgefragten Publikationen gehört. Mit weiteren Maßnahmen versuchen wir, die Aufmerksamkeit auf Thema zu lenken, z.B. durch die Gestaltung eines neuen Mädchenschach-Plakates, symbolische Initiativen bei der Deutschen Jugendmeisterschaft („Girls Day“) und Mädchenschach-T-Shirts (Aufdruck „Mädchen gehören hinters Brett“). Wochenendveranstaltungen für Schach spielende Mädchen („Chess Girls Camp“) werden mittlerweile von mehreren Landesschachjugenden eigenverantwortlich organisiert.
  • In vielen Vereinen bestehen Ängste und Vorbehalte gegenüber der Mädchenschacharbeit, weil die Verantwortlichen auch aus mangelnder Erfahrung nicht wissen, wie sie die Aufgabe anpacken können. 2009 hat die DSJ erstmals ein Wochenendseminar zum Thema „Mädchenschach“ durchgeführt, zu dem über 40 Vereinsverantwortliche aus ganz Deutschland kamen. Aufgrund der großen Nachfrage werden wir 2010 mindestens zwei Seminare anbieten.
B. Öffnung zur Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund
Bisher gibt es noch keine gezielten Anstrengungen, in der Bevölkerungsgruppe der Ausländer und Migranten um Mitglieder zu werben, obwohl ihr Anteil in den Vereinen deutlich unter dem in der Bevölkerung liegen dürfte. Die Rahmenbedingungen für eine Ansprache und Einbindung verschiedener Gruppen sind grundsätzlich gut, weil Aktivitäten mit dem Ziel gesellschaftlicher Integration von Migrantengruppen politisch gefördert und finanziell entsprechend unterstützt werden.
Unserer Ansicht nach bieten sich vielfältige Möglichkeiten, durch Pilotprojekte erste Erfahrungen zu sammeln und das bisher im organisierten Schach weitgehend ausgeblendete Thema systematisch zu erschließen. Besondere Chancen eröffnen sich hierbei für die Landesverbände, denn gerade auf Ebene der Landessportbünde gibt es zahlreiche Initiativen zur Förderung von Migrantengruppen. Ein weiterer Ansatzpunkt - auch für die Bundesebene - könnten Verbandskooperationen mit den Interessenverbänden der verschiedenen Migrantengruppen sein.
Ein systematisches Vorgehen für die Erschließung dieser neuen Zielgruppen könnte in fünf Schritten erfolgen:
  • Verschaffen eines Überblicks, welche Initiativen es im deutschen Schach (gerade auf Vereinsebene gibt es bereits gute Ansätze) zur Einbindung von Migrantengruppen bereits gibt;
  • Verschaffen eines Überblicks über bestehende Förderprogramme, die zu ideellen und finanziellen Förderung auf allen Ebenen bestehen;
  • Suche nach potentiellen Partnern (z.B. Migrantenverbände)
  • gemeinsames Initiieren von Pilotprojekten auf Landesebene und darunter
  • Schulung von Multiplikatoren und Einbindung der Engagierten in die Projekte, z.B. Menschen mit Migrationshintergrund als Trainer vor Ort einbinden
Bisherige Erfahrungen der DSJ:
  • Das Förderprogramm „JETST“ der Bundesregierung und der deutschen sportjugend hat den Anstoß zu einem neuen Projekt der DSJ gegeben. Die DSJ hat für eine langfristige Kooperation mit der Alevitischen Jugend in Hamburg und dann folgend einer bundesweiten Kooperation einen Förderantrag gestellt. Ziel der Kooperation ist es, über diesen demokratischen, weltoffenen Zweig der muslimischen Bevölkerung innerhalb Deutschlands eine neue Gruppe für den Schachsport zu gewinnen. Die Alevitische Jugend ist als Partner in 120 Gemeinden in Deutschland organisiert.
C. Schulschachangebote ausbauen
Im Schulschach hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Besonders hervorzuheben ist bspw. die Verleihung des 2.000 Schulschachpatents im Herbst 2009. An Grundschulen und Gymnasien ist Schach nach unserer Einschätzung heute weiter verbreitet als je zuvor. In Bezug auf das Thema Mitgliedergewinnung sehen wir dennoch zwei Herausforderungen:
  • Der Schachboom an den Schulen schlägt sich nicht in steigenden Mitgliederzahlen nieder, der Übergang von der Schulschachgruppe in den Schachverein erfolgt noch viel zu selten. Hier stellt sich die Frage, wie dieser verbessert werden könnte.
  • Die Erschließung weiterer Zielgruppen im Schulschachbereich bedeutet vor allem die Öffnung hin zu Real- und vor allem Hauptschulen. Die DSJ will dies z.B. durch eine Hauptschulmeisterschaft ab 2010 erreichen.
Die Länderhoheit in der Bildungspolitik führt außerdem dazu, dass das Schulschach in den Bundesländern einen völlig unterschiedlichen Stellenwert hat. Beispielsweise gibt es in einigen Ländern die Initiative „Schach statt Mathe“, die Schach als Unterrichtsfach verankert. Auch die offizielle Anerkennung des Schulschachpatents als Lehrerfortbildung ist bisher nur auf wenige Länder beschränkt. Die tatsächliche Verbreitung von Schach an Schulen hängt damit letztlich nicht unerheblich vom Engagement der Landesverbände ab, dieses Anliegen auch politisch voranzutreiben.

Mit dem Erfolg der kommerziellen Schachschulen zeichnet sich eine weitere Herausforderung ab. Die Vielfalt der Angebote in diesem Bereich ist in den vergangenen Jahren geradezu explodiert, die Schulschachstiftung versucht gerade, einen Überblick über den Markt zu gewinnen. Wir müssen einerseits aufpassen, dass sich dieser kommerzielle Bereich nicht an den Verbänden und Vereinen komplett vorbei organisiert. Zu erkennen ist schon jetzt, dass die Vereine die an das Schach herangeführte Potential der Kinder nicht aufnehmen wollen/können.
Andererseits steckt aber auch eine große Chance in dieser Entwicklung. Mit einem Workshop der Schachschulen am 1. Mai 2010 will die DSJ die Schachschulen an den Verband binden und nach Strategien suchen, wie die Kinder von den Schachschulen in die Vereine gebracht werden können.
Für den DSB und die Länder stellt sich bspw. die Frage, ob nicht über eine Mitgliedschaft der Schachschulen eine erste Anbindung an die Verbände erfolgen kann. Das Angebot muss für die Schulen entsprechend inhaltlich und finanziell attraktiv sein.
D. Unterstützung der Vereine
Den Vereinen und ihrer Arbeit muss unzweifelhaft eine Schüsselstellung in der Strategie zukommen. Die Mitgliederentwicklung hängt letztlich maßgeblich davon ab, dass die Vereine ihren Mitgliedern ein abwechslungsreiches und kompetentes Angebot anbieten, das über den reinen Spielbetrieb hinausreicht, und dass sie dies auch entsprechend präsentieren.

Der DSB und die Länder müssen es als strategische Aufgabe betrachten, die Vereine dabei zu unterstützen. Zentrale Elemente eines solchen Engagements sollten aus unserer Sicht sein:
  • Beratung für die Vereinsarbeit: Eine wirkungsvolle Beratung und Unterstützung erfordert den kombinierten Einsatz verschiedener Instrumente.
    • Die Grundlage bilden erstens allgemein zugängliche Materialien zu den relevanten Informationen. Als gelungene Beispiele können die (leider schon länger vergriffene) Broschüre zur Öffentlichkeitsarbeit „Schachvereine im Rampenlicht“ und das Info-Portal zu Rechtsfragen im Internet angeführt werden.
    • Wichtiger erscheint jedoch zweitens das direkte Gespräch, denn dadurch können die Vereine nicht nur gezielt auf die bereits vorhandenen Leistungen des DSB und der Länder angesprochen werden, sondern die Verbände erhalten auch eine Rückmeldung, welche Erwartungen die Vereine haben und welche Unterstützung konkret benötigt wird.
      Die DSJ führt mit dieser Absicht drei- bis viermal jährlich Vereinskonferenzen durch. Die Konferenzen werden regional begrenzt in Zusammenarbeit mit den Landesschachjugenden über einen Tag organisiert. Die LSJ und die DSJ stellen dort ihre Programme vor, mit denen sie den Vereinen bei der Tagesarbeit helfen, und beantworten Fragen der Vereinsvertreter, erhalten Informationen über Sorgen und Nöte und Problemfelder der Vereinsarbeit. Die Rückmeldung der teilnehmenden Vereinsvertreter - im Durchschnitt sind 10 bis 15 Vereine vertreten - war bisher durchweg positiv.
    • Schließlich sollte die Beratung drittens auch individualisiert erfolgen, d.h. unmittelbar auf den Verein zugeschnitten. Vereine mit spezifischen Problemen können sich im Idealfall an erfahrene und geschulte Engagierte wenden, die gemeinsam mit dem Verein Lösungen entwerfen.
      Dieses Projekt ist besonders anspruchsvoll und aufwändig. Das von der DSJ vorgelegte Konzept eines „Vereinsberaters“ konnte aufgrund der Schacholympiade bisher leider noch nicht umgesetzt werden, befindet sich aber derzeit wieder in der konkreten Planung. Ziel ist die Erprobung in einem Pilotprojekt und die anschließende Ausweitung auf weitere Landesverbände.
  • Breitenschach und Öffentlichkeitsarbeit: Das organisierte Schach führt in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein. Nicht nur in der überregionalen Öffentlichkeit und den Medien ist Schach als Sport kaum präsent, auch auf lokaler Ebene wird Schach viel zu häufig nur „am Rande“ wahrgenommen. Umso wichtiger ist es, dass die Dachverbände den Vereinen die Präsentation in der Öffentlichkeit erleichtern. Dies kann einerseits durch die Bereitstellung verschiedenster Werbematerialien wie Plakate, Flyer, Aufkleber u.ä. geschehen. Leider verfügt der DSB bisher nur über sehr wenige dazu geeignete Materialien.
    Andererseits bieten zentral koordinierte Breitenschach-Aktivitäten für viele Vereine einen geeigneten Rahmen, um sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Leider waren die bisher initiierten Angebote - insbesondere der Tag des Schachs - nur mäßig erfolgreich. Hier ist (gemeinsam mit den Vereinen) zu überlegen, wie solche Aktivitäten ausgestaltet werden müssen, damit sie tatsächlich zum Mitmachen einladen.
  • Gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Schach steigern: Schließlich liegt es auch in der Aufgabe der Verbände, Schach in der gesellschaftlichen Wahrnehmung stärker zu verankern. Das ist keine leichte Aufgabe. Der große Erfolg der Trierer Schulschachstudie hat jedoch gezeigt, dass es durchaus gelingen kann. Umso erstaunlicher ist es, das immer noch viele Länder keinen Versuch unternommen haben, Schach in den Kultusministerien mit Hilfe der Studie zu platzieren. Auch das Buch „Klüger durch Schach“ von Marion Bönsch-Kauke - im Auftrag des DSB verfasst - wurde bisher nicht zur öffentlichen Positionierung genutzt, obwohl es sich um eine einmalige Sammlung von weltweiten wissenschaftlichen Forschungen handelt.
  • Ausbildung: Die Erfahrungen mit den DSJ-Ausbildungsangeboten zeigen, dass in den Vereinen das Interesse an Aus- und Fortbildung sehr groß ist. Die Angebote müssen jedoch zwei Bedingungen erfüllen: Sie beanspruchen die (in der Regel) sowieso schon knappe Ressource Zeit, müssen also erstens von ihrem Umfang überschaubar sein. Zweitens muss das Angebot auf die Bedürfnisse des Teilnehmers zugeschnitten sein, im Idealfall ein individuelles und flexibles Programm umfassen.
    Die DSJ hat in den vergangenen Jahren ein breites Ausbildungsangebot aufgebaut, das sich stark wachsender Nachfrage erfreut. Die Veranstaltungen werden in der Regel als Wochenendseminare durchgeführt.
    • Zielgruppenspezifische Angebote: Schulschachpatent (seit 2001 rund 2000 verliehene Patente), Kinderschachpatent (seit 2006 über 250 Teilnehmer in 12 Lehrgängen), Mädchenschachpatent (in 2009 erstmals mit über 40 Teilnehmern)
    • DSJ-Akademie: modular aufgebautes Seminar mit Workshops zu 10-15 Themen aus de Bereichen „Organisation & Führung“, „Spiel, Wettkampf & Training“ sowie „Jugend & Betreuung“ (seit 2007 drei Akademien mit insgesamt rund 150 Teilnehmern)
    • Seminare für engagierte Jugendliche zu verschiedensten Themen wie Rhetorik, Projektorganisation, Öffentlichkeitsarbeit etc. (seit 1997 mehrmals pro Jahr mit insgesamt rund 750 Teilnehmern)

    Ein umfangreiches und bedürfnisgerechtes Ausbildungsangebot nimmt bei der Vereinsunterstützung eine Schlüsselstellung ein. Es sorgt nicht nur für eine gute Qualifikation der Ehrenamtlichen, sondern die Seminare geben Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch, zur Netzwerkbildung und sie motivieren die Teilnehmer, sich mit neuem Elan Vereinsarbeit zu widmen. Für uns als Verband bieten die Seminare überdies die Möglichkeit, als kompetenter Ansprechpartner aufzutreten. Dies ist auch ein wichtiges Argument für die Gewinnung von Engagierten für die eigene Verbandsarbeit.

    Die bisherige Konzentration des DSB und der Länder auf die Trainer-Ausbildung spricht unserer Ansicht nach nur eine vergleichsweise kleine Gruppe der Engagierten an und vernachlässigt die Interessen der Mehrheit der Ehrenamtlichen. Eine deutliche Ausweitung des bisherigen Angebots mit flexiblen, modularen Strukturen ist unserer Ansicht nach für die Zukunft unerlässlich.

    Die DSJ kann basierend auf ihren Erfahrungen sagen:
    • Das Interesse in den Vereinen ist vorhanden und zwar keineswegs nur in den Großvereinen und in den überregional bekannten Vereinen.
    • Die Teilnehmer setzen um, was sie von den Veranstaltungen in ihre Vereine mitnehmen.
    • Die Resonanz auf die Angebote ist durchweg positiv, es gibt viele Teilnehmer, die mehrere Angebote wahrnehmen.
    • Das Angebot müsste noch umfangreicher sein, dies ist aber alleine nur von der DSJ nicht zu leisten.
E. Stärkung des Ehrenamtes
Ein wesentliches Element zur Stärkung des Ehrenamtes ist ein attraktives Aus- und Fortbildungsangebot. Darüber hinaus müssen wir jedoch überlegen, wie die Engagierten weitere Unterstützung erfahren können. Denkbarer Ansatzpunkt ist z.B. die Einführung eines Anreizsystems für Ehrenamtliche: In anderen Sportarten ist ein eigenes Belohnungssystem üblich, z.B. mit vergünstigten Ticketpreisen für Sportveranstaltungen. Im Schach wäre z.B. ein kostenfreier Start bei der Amateurmeisterschaft denkbar, die Beitragsfreiheit für Vorsitzende und Jugendwart etc. Bund und Länder müssten überlegen, wie sie ehrenamtliches Engagement gezielt fördern könnten: Wer sich mit voller Kraft einbringt, der soll erleben, dass seine Arbeit wahrgenommen und geschätzt wird.

Bisherige Erfahrungen der DSJ:
Die DSJ arbeitet gerade an einem Belohnungssystem für die Vereine, die das Qualitätssiegel für Kinder- und Jugendschach oder Mädchen- und Frauenschach erhalten haben. Diese Vereine werden für die Ausbildungsangebote der DSJ kostenfreie Teilnahmen erhalten sowie freie Startplätze bei den offenen Deutschen U25 Meisterschaften.
F. Schach durch Events attraktiv machen
Mitgliedergewinnung heißt immer auch Mitgliederbindung. Viel zu oft stellen neue Mitglieder schon bald fest, dass ihnen eigentlich wenig geboten wird und verlassen die organisierte Schachszene wieder. Die Vereine können selbst viel dafür tun, dass sich neue und alte Mitglieder wohl fühlen. Sie benötigen aber auch ein Umfeld in der Schachorganisation, in dem über den Verein hinaus etwas geboten wird, eine Faszination Schach aufgebaut wird. Diese Faszination entsteht vor allem bei großen Schach-Events.
Die Teilnahme an Schachmeisterschaften und -turnieren kostet nicht nur mehr Zeit als die Wettkämpfe anderer Sportarten mit ihren Tages- und Wochenendveranstaltungen, sondern sie kostet auch viel Geld. Und dennoch zeigen sowohl die Deutschen Amateurmeisterschaften als auch die Deutschen Jugendmeisterschaften, dass selbst ganze Familien die Angebote nutzen, weil das Angebot stimmt. Hier wird die Schachmeisterschaft zu einem Event, das mehr als nur Schach bietet.
Im Jugendbereich hat sich die Deutsche Einzelmeisterschaft zu einer regelrechten Marke „DEM“ etabliert, sie ist zu einem Muss im Terminkalender geworden. Wer sich nicht qualifiziert, der spielt eben beim U25-Open mit, um dabei sein zu können! Viele ältere Jugendliche nehmen auch als Betreuer teil und entscheiden sich zu einer Funktionärs- oder Trainertätigkeit, um bei der DEM dabei zu sein. Nicht zuletzt strahlt die Marke Deutsche Jugendmeisterschaften auch in die Landesschachjugenden aus, da viele Elemente der Deutschen in die Landesmeisterschaften übernommen wurden und werden.

Die Entwicklung einer zentralen deutschen Jugendmeisterschaft in den 90er Jahren hat mit vielen Traditionen gebrochen. Die DEM ist heute jedoch ein ganz wichtiger Baustein im Selbstverständnis des organisierten Jugendschachs. Mit rund 1.000 Teilnehmern - Spielern, Trainer, Betreuer, Eltern - ist sie der Kristallisationspunkt im Jahr der Schachjugend und für viele ein herausragendes Ereignis in der eigenen Schach-Biographie.
Der DSB hat die Chance, ein zentrales Event mit ähnlicher Breitenwirkung zu organisieren. Eine zentrale Meisterschaft, bei der die Bereiche Spitzensport, Männer, Frauen und Senioren und die große Menge der Vereinsspieler, die Familien zusammengebracht werden, kann dem Schach in Deutschland einen großen Schub geben, der stark in die Vereine strahlt bis hin zu Vereinsfahrten zum Event etc. Die Erfahrungen mit dem großen Interesse der Vereine an der Schacholympiade und die positiven Erfahrungen mit einem ähnlichen Konzept in unserem Nachbarland Frankreich zeigen, dass die Idee von dem großen Ereignis mit Faszinationskraft keineswegs Spinnerei, sondern eine reale Chance ist.
IV. Schlussbemerkung
Das ernsthafte Bemühen, die bisher unbeeinflussbar erscheinende Größe Mitgliederzahl tatsächlich zu steuern - nämlich zu stabilisieren und im Idealfall zu erhöhen -, bedarf langfristiger Überlegungen. Unsere Zusammenstellung strategischer Aufgaben und Themenfelder ist keineswegs abschließend. Jede der vorgeschlagenen Maßnahmen ist für sich genommen wertvoll, kann aber kaum dauerhaft zu steigenden Mitgliederzahlen führen. Erst die gelungene Kombination aller Kräfte führt zum Ziel.

Wenn wir jetzt für ein langfristiges Projekt, eine „Strategie Mitgliederbindung und -gewinnung“ plädieren, so sind wir uns der Verlockung bewusst, dass das konkrete Handeln zwecks ausführlicher Diskussion erst einmal wieder vertagt wird. Doch das wäre der falsche Schritt. Je früher wir damit beginnen, uns auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen, umso besser sind die Chancen, die Vitalität des organisierten Schachs zu pflegen und auszubauen. Wer sich auf dem Schachbrett in bedrängter Stellung erst einmal noch weiter einmauert, sichert im besten Falle das Remis, aber mit dem Siegen wird es dann schwierig.

Unser Positionspapier listet viele konkrete Ansatzpunkte auf, mit deren Umsetzung rasch begonnen werden könnte. Das Anpacken erster Maßnahmen und die Entwicklung einer Gesamtstrategie könnten zeitlich durchaus parallel erfolgen. Auch spricht nichts dagegen, dass die Landesverbände umgehend mit der Umsetzung verschiedener Ansätze beginnen - ein „Wettbewerb der Ideen“ wäre sogar ausdrücklich zu begrüßen. Um diese große Chance des Föderalismus zu nutzen, ohne zugleich das Risiko konterkarierender Prozesse einzugehen, ist es lediglich erforderlich, die gemachten Erfahrungen gründlich auszutauschen und schließlich in die Gesamtstrategie einzubinden.

Wir sind sehr optimistisch, dass über diesen Weg Schach in Deutschland vorangebracht werden kann.

Der Vorstand der
Deutschen Schachjugend