Der neue Präsident des Deutschen Schachbundes im Interview
– Starkes Bekenntnis zur Deutschen Schachjugend
Frage: Sie haben in einem Interview mit der DSB-Geschäftsstelle gesagt: „Mein prinzipielles Ziel wird es […] sein, die gesellschaftliche Akzeptanz des Schachsports voranzubringen.“
Was erwarten Sie dabei von der Schachjugend?
Prof. Dr. Robert K. von Weizsäcker: Die Deutsche Schachjugend spielt für mich eine zentrale Rolle, wenn es um die Zukunft des Schachs in Deutschland geht. Eine wesentliche Rückwirkung des hoffentlich zu erreichenden höheren gesellschaftlichen Stellenwertes besteht ja in einer größeren Zahl aktiver Spieler. Den höchsten potentiellen Zuwachs – noch dazu mit dem buchstäblich längsten Atem – sehe ich hier in der Schachjugend. Ich habe auf dem Bundeskongress zwei wesentliche Schwerpunkte meiner Arbeit genannt: Zum einen den Bereich Kinder, Jugend und Schule – die Zukunftsträger des Schachs; und zum anderen das Gebiet der internationalen Repräsentanz des Deutschen Schachbundes. Hier bedarf es einer längerfristig angelegten, geschickten Koalitionsbildung, um einen gewissen Einfluss auf die FIDE zurück zu gewinnen. Aber auch auf diesem internationalen Sektor werde ich versuchen, die länderübergreifenden Interessen der Schachjugend einzubringen.
Warum sind Sie so motiviert, gerade die Jugendarbeit zu unterstützen?
Ich will das erläutern: Ich bin als Spieler und nicht als Funktionär angetreten und gewählt worden. Meine vornehmliche Motivation besteht also darin, etwas für die Spieler zu tun, Begeisterung im Umfeld des Schachsports zu wecken und, wie gerade schon erwähnt, die Anzahl der aktiven Spieler zu erhöhen. Dabei stellt die Schachjugend das entscheidende Potential für die Zukunft dar. Der Enthusiasmus für die 64 Felder muss daher genau hier ansetzen und dafür gibt es auch gute Sachargumente. Denn: Schach macht Spaß und Schach kann auf teilweise ganz unbewusste Weise vieles bewirken. Damit meine ich nicht nur die Förderung kognitiver Faktoren, sondern insbesondere auch die Schulung des Charakters. Das mag man als Jugendlicher vielleicht nicht sofort bemerken. Dennoch: Als Schachspieler muss man am Brett stets unter Unsicherheit und bei knapper Zeit Entscheidungen treffen und gleichwohl, oder gerade deswegen, Vertrauen in diese Entscheidungen entwickeln. Darüber hinaus ist eine Schachpartie eine hochemotionale Angelegenheit, die nicht nur im Schädel abläuft. Das wird von Nicht-Schachspielern häufig übersehen. Hier eine letztlich rational zu begründende Balance zu wahren, ist nicht selten ein wahres Kunststück und kann sogar bisweilen zu einem Kunstwerk führen. All das schult enorm und ist für Jugendliche ein faszinierendes Betätigungsfeld und zudem eine gute Alternative zu passivem Zugedröhne zum Beispiel durch Computer und Fernsehen. Auch kann dadurch vielleicht der Trend zu vordergründigem Genuss in Frage gestellt werden. Denn letztlich führen die schöpferischen Aspekte und die Ernsthaftigkeit einer Schachpartie zu einer größeren inneren Ruhe und Zufriedenheit als das Jagen nach Events und Entertainment.
Wie bewerten Sie die aktuelle Öffentlichkeitsarbeit im Schachsport?
Zurzeit ist das sicherlich ein Defizit. Hier benötigen wir Ideen und ein gutes Konzept. Ich werde das bereits auf der nächsten Sitzung des Geschäftsführenden Präsidiums Mitte Juni in Berlin zum Thema machen.
Sie sind Professor unter anderem auch für Industrieökonomik. Wie hilft Ihnen Ihre wissenschaftliche Erfahrung bei der Arbeit in der Organisation DSB?
Sie hilft mir sowohl inhaltlich als auch methodisch. Inhaltlich, da ich mich mit der effizienten Organisation von Märkten und Unternehmen befasst habe, und methodisch, da ich nun auf eine gewisse Systematik des Vorgehens zurückgreifen kann. Zuerst einmal muss ich die Struktur des Verbandes verstehen lernen. Damit meine ich die Strukturen und Interessen aller Teilverbände des DSB. Dann will ich versuchen, den DSB so aufzustellen, dass eine einigermaßen zielorientierte Verbandspolitik möglich wird. Schon auf meinem ersten Bundeskongress vor zwei Wochen habe ich den Eindruck gewonnen, dass nicht alle Beteiligten an einem Strang ziehen.
Was können Sie denn bisher zur Struktur des DSB sagen?
Nun, der Deutsche Schachbund besitzt – fachlich ausgedrückt – eine vertikal integrierte Holdingstruktur. Nach allen Erfahrungen in der unternehmerischen Praxis hat eine solche Organisationsform eine Fülle von Anreizproblemen zur Folge. ‚Incentive mechanism design’ heißt hier das fachliche Schlüsselwort zur potentiellen Effizienzsteigerung. In der sehr komplexen DSB-Struktur gibt es keine konsistenten Anreize und es scheint mir eine gemeinsame, föderative Stoßrichtung zu fehlen. Eigeninteressen und Eifersüchteleien sind zwar menschlich, aber allzu Menschliches kann sich auch als kontraproduktiv erweisen. Mein Ziel ist es u.a., die Bundesländer ins Boot zu holen und dabei betone ich: Es kommt nicht auf die Teilverbände und nicht auf den Dachverband an, es kommt allein auf das Schach an!
Haben Sie schon einen Eindruck von der Zusammenarbeit zwischen Schachbund und Schachjugend machen können? Wie bewerten Sie diese?
Ich habe mir noch keinen Überblick verschaffen können. In zwei Wochen haben wir ja die erwähnte Sitzung und dort steht das bürokratische Wortungetüm „Geschäftsverteilungsplan“ auf der Tagesordnung. Aber egal wie die Verbindung zwischen der DSJ und dem DSB formal geregelt ist: Ich werde mich intensiv um die Belange der DSJ kümmern. Das schließt auch Besuche vor Ort ein, um Unterstützung und Präsenz zu signalisieren. Leider war ich diese Woche beruflich an der Universität zu stark eingespannt, um zur DEM reisen zu können.
Eine letzte Frage von unserer Nachwuchsreporterin (15) Serena: Wenn Sie für längere Zeit auf eine einsame Insel fahren müssten. Würden Sie dann eher ein dickes Schachbuch oder eher ein dickes Volkswirtschaftslehre-Buch mitnehmen?
Ein dickes Schachbuch! Auf jeden Fall und mit drei Ausrufezeichen!!!
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Christian Warneke.