Protestfall in der U12

In der siebten Runde der Altersklasse U12 kam es zu einem Streitfall, in dessen Folge Protest gegen die Entscheidung der sportlichen Leitung eingelegt wurde. YEEEHAA hat die Informationen zusammengetragen und dokumentiert den Fall.

 

In der Partie Weiß (Landesverband 1) gegen Schwarz (Landesverband 2) wird Weiß in komplizierter Stellung plötzlich durch einen in den Spielbereich eindringenden Zuschauer (Landesverband 3) gestört, der ihn am Arm packt, laut auf ihn einredet und des Betruges verdächtigt. Der Zuschauer wollte hiermit einem „Schummeln“ des Spielers Weiß entgegenwirken, welches er immer dann vermutete, wenn der Spieler länger mit dem Arm über dem Brett kreiste. Darüber hinaus wurde Weiß von diesem Zuschauer verdächtigt, während seiner Partien übermäßig oft mit seinem Vater in Kontakt zu treten.

 

Sieg für Schwarz

 

Als der Vater von Schwarz versuchte, den Zuschauer aus dem Turniersaal zu drängen, wurden die Schiedsrichter darauf aufmerksam. Beide Personen wurden aus dem Turniersaal geleitet. In den nächsten ca. 15 Minuten wurden die Schiedsrichter durch den Vater von Schwarz über eine verbale Störung der Partie und durch den Zuschauer über den Verdacht des Schummelns informiert. In einem anschließenden Gespräch mit den Begleitern von Weiß wurde über den Verdacht des Schummelns gesprochen. Diese wurden gebeten, dem Turniersaal für diese Runde fernzubleiben. Außerdem wurde ein Gespräch mit Spieler Weiß und seinen Betreuern im Anschluss an die Partie vereinbart. Über oben genannten Zuschauer wurde zunächst ein Saalverbot für diese Runde verhängt.

 

Ca. 45 Minuten nach obigem Vorfall endete die Partie durch Sieg von Schwarz. Erst in dem zuvor vereinbarten auf die Partie folgenden Gespräch mit Weiß erfuhren die Schiedsrichter eher nebenbei vom ganzen Ausmaß des Sachverhalts.

 

Saalverbot für den Zuschauer

 

Nach reiflicher Überlegung und Befragung verschiedener Zeugen beschloss der sportliche Gesamtleiter Rainer Niermann, diese Partie 1:1 zu werten. Als Begründung führte er an, dass durch den Eingriff selbst und die ausufernde Wirkung der Verdächtigungen dem Spieler eine faire Fortsetzung seiner Partie nicht mehr möglich war und er seine zu diesem Zeitpunkt bessere aber schwierige Stellung dadurch verloren habe. Gegen den Zuschauer wurde ein Spielsaalverbot für den Rest der Meisterschaft ausgesprochen.

 

Gegen die Entscheidung der Spielwertung wurde von vier Landesverbänden Protest eingelegt. Landesverband 3 begründete dies mit dem feststehenden sportlichen Resultat der Partie. Der gemeinsame Protest der Landesverbände 4, 5 und 6 begründete sich auf Fehler in der Schiedsrichterleistung (keine Störung zulassen, bei Störung Bedenkzeit zugeben), einen fehlenden förmlichen Protest des Spielers Weiß, die sportliche Entscheidung sowie eine mögliche Verzerrung des Turnierendergebnisses.

 

Entscheidung des Schiedsgerichts

 

Eine Entscheidung über den Sachverhalt musste damit vom Schiedsgericht getroffen werden. Dieses wurde am Anfang der Meisterschaft von den Delegationsleitern gewählt und tagte in der Zusammensetzung Norman Schütze (S-A), Norbert Reichel (THÜ) und Hendrik Schüler (HH). Nach Verhandlung und Beratung entschloss sich das Schiedsgericht, den Protesten stattzugeben, obwohl es ausdrücklich die Tatsache begrüßte, dass die sportliche Leitung nach einer Möglichkeit suchte, den entstandenen Schaden zu beheben.

 

Zur Begründung wurden im Wesentlichen genannt, dass es keine Grundlage dafür gebe, Spieler Weiß nachträglich einen Punkt zuzusprechen, obwohl es die theoretische Möglichkeit in Analogie zu Artikel 13.4 anerkannte. Eine Grundlage für die Zuschreibung speziell eines ganzen Punktes für Weiß erwachse allerdings weder aus dem Versuch zur Heilung dieses körperlichen und verbalen Eingriffs noch aus dem Spielverlauf heraus. Darüber hinaus empfiehlt das Schiedsgericht das Misstrauen, das zu diesem Eingriff geführt hat, gegenüber den Parteien anzusprechen, um Ängste abzubauen und damit die beteiligten Spieler zu schützen.

 

 

YEEEHAA hat mit dem sportlichen Gesamtleiter der DEM, Rainer Niermann, über den Streitfall gesprochen.

 

Was sagst Du zu der Entscheidung des Schiedsgerichts?

 

Ich bin mit Entscheidung aus verschiedenen Gründen nicht einverstanden. Zum einen steht der Spieler Weiß, der ungerecht behandelt wurde, schlechter da als zuvor. Es gibt keine Möglichkeit mehr, annähernd Gerechtigkeit herzustellen.

 

Zum anderen hat diese Entscheidung Auswirkungen auf das Jugendschach: Die Deutsche Schachjugend bemüht sich immer um altersgerechte Regelhandhabung und wir sind diesem Gedanken gefolgt. Mit dieser Entscheidung verlangt das Schiedsgericht eine sehr formale Handhabung der Regeln bereits in den jungen Altersklassen.

 

Wie darf ich das verstehen?

 

Wir haben bisher versucht, bei strittigen Regelfragen den Spielern zu helfen und in Einzelfällen versucht, Rücksicht auf das Alter zu nehmen. Beispielsweise haben wir schon mal bei komplizierten Remisreklamationen Hinweise gegeben. Ich frage mich, ob das zukünftig noch möglich sein wird.

 

Was kannst Du uns über den Verdacht des Schummelns von Spieler Weiß sagen?

 

Wir haben uns die letzten Tage zunehmend und intensiv mit den Anschuldigungen gegen Spieler Weiß und seine Familie beschäftigt. Dabei wurden wir von vielen Seiten mit Verdächtigungen und Mutmaßungen konfrontiert. Nichts davon hat sich bewahrheitet. Wir konnten die Vorwürfe eindeutig entkräften und widerlegen. Der Spieler hat jedoch extrem darunter gelitten und fühlte sich verfolgt und verdächtigt. Es war für ihn wie ein Hexenkessel.

 

Warum hast Du diese 1:1-Entscheidung getroffen?

 

Die Idee stammt von einem Schiedsrichterkollegen, leuchtete mir allerdings als angemessen ein. Beide Spieler haben den Sieg verdient, nur wurde Spieler Weiß durch einen unfairen äußeren Eingriff am Sieg gehindert. Wie lässt sich dies wieder ausbügeln? Vollständig nicht, aber mit der gefundenen Lösung konnten wir Spieler Weiß Gerechtigkeit widerfahren lassen ohne seinen Gegner oder andere Spieler übermäßig zu schädigen.

 

Gab es Alternativen?

 

Keine, die im Turnier Gerechtigkeit wieder hergestellt hätten. Eine Partiewiederholung wäre technisch nicht möglich gewesen, für die Spieler zu belastend und dem Gegner gegenüber unfair.

 

Wie soll die Deutsche Schachjugend mit dieser Entscheidung umgehen?

 

Es sollten jetzt keine Schnellschüsse vollzogen werden. Allerdings müssen wir in den Turniersälen einen anderen Kontakt zu den Eltern und die Eltern einen anderen Umgang mit den Kindern pflegen.

 

Was empfiehlst Du einem Spieler, der während einer Partie ähnliches erlebt?

 

Dieser Fall hätte wesentlich einfacher gelöst werden können, wenn wir während der Partie von Weiß informiert worden wären. Wendet Euch also an die Schiedsrichter, sie sind für EUCH da.