Augenzwinkern statt Kopfschütteln
Der Vorsitzende der Deutschen Schachjugend hat sie im Rahmen der Eröffnung noch einmal besonders hervorgehoben und für ihre Verdienste einen Extraapplaus eingefordert: Eltern sind in vielerlei Hinsicht das Fundament für sportliche Leistungen. Sie unterstützen nicht nur finanziell die Interessen ihrer Kinder, sondern passen auch ihren eigenen Terminkalender den Trainingseinheiten, Wettkämpfen und Turnierreisen der Sprösslinge an. Sie organisieren, trösten, motivieren, bedauern, schützen und fördern die kleinen Sportler, damit diese sich frei entwickeln können und lange Spaß an ihrem Hobby haben.
Die Kehrseite…
Eltern haben einen Anteil an den sportlichen Leistungen ihrer Kinder – doch es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Eltern die sportliche Leistungsfähigkeit ihrer Kinder nicht nur positiv, sondern durchaus auch negativ beeinflussen können. Zwei Beispiele des gestrigen Turniertages werfen einen Schatten auf den sonst so lobenswerten Einsatz der Mamas und Papas.
In der U8 sitzt ein Junge vor seinem Brett und ist selbst ein wenig erstaunt über die Fehler, die ihm in den letzten Minuten passiert sind. Fehler müssen es gewesen sein, denn sein Vater blickt kopfschüttelnd abwechselnd erst auf die Stellung und dann auf seinen Sohn. Irgendwann steht der Kleine auf und macht seinem Vater klar, dass er sich abgelenkt fühlt und er gerne alleine weiterspielen möchte. So viel Courage bringen weniger Kinder auf, als man denkt.
In der U12 verliert ein Mädchen unter mysteriösen Umständen. Lange Zeit hat sie eine Figur mehr und befindet sich auf der Siegerstraße; plötzlich gibt sie auf. Der besorgte Schiedsrichter findet heraus, dass ein Moment der Unachtsamkeit dazu führte, dass das Mädchen ihre Mehrfigur hergeben muss. Demonstrativ wendet sich ihre bis dato neben dem Brett stehende Mutter ab und verlässt den Turniersaal. Das Mädchen gibt die Partie verloren und läuft der Mama nach.
Falscher Ehrgeiz und Liebesentzug
Beide Geschichten klingen konstruiert, nur sind sie es leider nicht und leider sind es auch nicht die einzigen beiden so gearteten Fälle. Ehrgeizige Eltern, die ihren eigenen Wunsch nach Erfolg und guter Leistung in jede Partie ihrer Kinder legen und diese so mit vielen Erwartungen aufladen, erhöhen den Druck auf ihre Kinder. Kinder spüren diesen Druck, sie empfinden die Erwartungen ihrer Eltern und sie setzen alles daran, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen. Der Verlust einer Partie wird nicht mehr als Enttäuschung vor sich selbst, sondern als Versagen gegenüber den Eltern erlebt. Das Moment dieser Erfahrung wird verstärkt durch den verordneten Liebesentzug: Wenn meine Tochter einen Fehler macht, dann hat sie auch nicht verdient, dass ich länger neben ihrem Brett stehen bleibe.
Kinder brauchen Rückhalt
Man muss sich fragen, ob ein solcher Ehrgeiz nicht in die falsche Richtung läuft und ob Eltern die sportliche Entwicklung so nicht eher negativ beeinflussen. Kinder brauchen Rückhalt, sie müssen das Gefühl haben, dass ihre Eltern hinter ihnen stehen, auch wenn Figuren reihenweise an die Gegner verschenkt werden. Selbstsicherheit wird durch die Gewissheit entwickelt, Fehler machen zu können. Und Selbstsicherheit wird sich sowohl positiv auf das eigene Spiel als auch auf die langfristige sportliche Entwicklung auswirken. Kinder brauchen kein Kopfschütteln, Kinder brauchen ein Augenzwinkern.